Eine Herkulesaufgabe

Thüringer Allgemeine Kreis Erfurt vom 01.09.2023

Jessica Hiltl hat zehn Jahre für ihre Berufsausbildung gebraucht – als alleinstehende Mutter mit drei Kindern

Michael Keller

Erfurt. Unter den strengen Blicken von Fürsten und Königen auf den Wandbildern im Rathausfestsaal wurden am Donnerstag die Abschlusszeugnisse und Zertifikate an die Absolventinnen und Absolventen der Jugendberufsförderung (JBF) Erfurt ausgegeben.

Von 48 Azubis hatten 44 die Prüfung im ersten Anlauf bestanden. Das ist eine Quote von 92 Prozent, so Robin Wehrbein, Ausbildungsleiter beim JBF. Und dies trotz Corona und den damit zusammenhängenden Problemen, die die Ausbildung in einem besonderen Licht erscheinen lassen. „Ein sehr gutes Ergebnis“, so Ausbildungschef Wehrbein. Zumal zwei seiner Schützlinge – Tobias Luxen und Nico Florian Herfurth – demnächst von der Handwerkskammer Erfurt als Kammerbeste ausgezeichnet werden. Und 65 Prozent der erfolgreichen JBF-Azubis haben bereits eine Zusage für einen Job im ersten Arbeitsmarkt in der Tasche.

Den Kindern ein Vorbild sein
Eine der Absolventinnen indes stach durch eine Leistung besonders hervor - die 28-Jährige Jessica Hiltl aus Erfurt. Ihr höheres Alter erklärt sich damit, dass die JBF-Schülerin schon vor zehn Jahren ihre Ausbildung zur Hauswirtschafterin begann. Und dann drei Kinder bekam. Die sind heute fünf, sieben und neun Jahre alt. Jessica Hiltl hat sie allein großgezogen. Nur ihre Mutter stärkte ihr den Rücken. Im Januar 2013 hatte die junge Frau die JBF-Ausbildung begonnen, sich dann, sechs Jahre in der Elternzeit um ihre Kinder gekümmert, ehe sie 2021 wieder an den Start ging.

„Ich wollte und will für meine Kinder ein Vorbild sein. Sie sollen einmal sehen, dass ich eine Ausbildung geschafft habe. Und ich lege sehr großen Wert darauf, dass auch meine Kinder später einmal eine gute Ausbildung bekommen“, sagt sie.

Es muss ein Kraftakt ohnegleichen für die junge Mutter gewesen sein. Sie habe „sehr viel Kaffee“ getrunken, um wach zu bleiben. Ihr Tag habe eine streng geregelte Struktur gehabt, ohne die es nicht funktioniert hätte. Wecken 3.15 Uhr. „Um mich fertigzumachen“, sagt sie.

Dann Kinder wecken, anziehen, Frühstück, zur Schule bringen. Im Anschluss ging es in den Storchmühlenweg, zur praktischen Ausbildung.
Unterrichtsbeginn: sieben Uhr. Die Kinder waren im Kindergarten und im Hort tagsüber versorgt. Die Theorie sei unter Corona-Bedingungen im Homeoffice zur besonderen Herausforderung geworden. Sie habe sich oft zwingen müssen, gibt sie zu. Und sie sei mit den Nerven mehrfach am Ende gewesen.

,,Ich habe oft Wochen lang nur geweint und gedacht, 'Gib doch auf' “, sagt sie. Trotzdem der Doppelbelastung – eigentlich müsste man 'Vierfachbelastung' sagen - getrotzt. Urlaub? Ein Fremdwort. ,,Balkonien“ mit den Kindern, mehr sei nicht drin gewesen.

Dann lacht sie. Denn es ist geschafft. Im Rathaus überreichte ihr JBF-Chef Axel Stellmacher das Zeugnis. Der Lohn: Nur einen Tag später, am 1. September, tritt Jessica Hiltl ihren neuen Teilzeit-Job als Hauswirtschafterin beim Institut für Bildung und Sicherheit an. Mit einem „sehr guten Gefühl“.

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