30 Jahre, 3000 Azubis

Thüringer Allgemeine (Kreis Erfurt) vom 12.11.2021

Jugendberufsförderung Erfurt widmet sich Ausbildung von behinderten jungen Menschen

Von Michael Keller

Erfurt. Corona wollte nicht, dass gefeiert wird, am 2. September. An dem Tag wurde die Jugendberufsförderung (JBF) in Erfurt eigentlich
30 Jahre alt. Aber die Party musste zunächst ausfallen. Die Erfolgsgeschichte aber geht weiter.
1991 sprang eine Handvoll ehemaliger Ausbilder des Polytechnischen Zentrums der Umformtechnik ins kalte Wasser. Ihr Ziel: behinderte junge Menschen für den Arbeitsmarkt fit machen. Von denen die Statistik weiß, dass rund 70 Prozent lernbehindert sind. Die Probleme haben, Stoff zu erfassen, wiederzugeben, zu lesen oder zu schreiben.
20 Prozent der Schüler haben überdies körperliche Handicaps. Dieser Klientel nahm sich die JBF vor 25 Jahren an. Der damalige Spiritus Rector Hans-Joachim Beder hatte schnell herausgefunden, dass da ein Feld nur darauf wartete, bearbeitet zu werden. Eine weise und nachhaltige Idee. Inzwischen haben bei der JBF seit deren Gründung rund 3000 Menschen mit Behinderung gelernt und zu großen Teilen erfolgreich abgeschlossen. 1991 ging man mit einem einzigen Beruf - Metallbauer - an den Start. Heute hat die Jugendberufsförderung 24 Berufe im Portfolio.
Aktuell lernen 151 Azubis unter anderem in den Berufsfeldern Metallbearbeitung, Gastronomie, Hauswirtschaft, Pflege, Wirtschaft und Verwaltung. Betreut werden sie von 20 Ausbildern. ,Yon den Azubis, die die Prüfung am Ende erfolgreich bestanden haben, konnten wir 85 Prozent in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln", sagt Axel Stellmacher, der dem JBF seit fast drei Jahren vorsteht, nicht ohne Stolz. Und genauso
stolz betont er, dass das alles ohne einen einzigen Kredit und ohne staatliche Förderung gelungen sei.
Grund genug, Stand jetzt, am 14. Dezember den 30. Geburtstag angemessen, aber schaumgebremst - soweit es die Umstände zulassen -
nachzufeiern. Im Kaisersaal. Selbstverständlich mit 3G oder 2G, je nachdem. Oder auch nur vielleicht. Denn die Pandemie ist allgegenwärtig.
Auch in der Ausbildung beim JBF hat sie in den letzten 20 Monaten unübersehbare Spuren hinterlassen, so Axel Stellmacher. Im Ausbildungsjahr 2019/20 habe man 73 Azubis zur Prüfung bringen können, von denen 52 bestanden und 35 in seine sozialversicherungspflichtige Arbeit vermittelt werden konnten. Die 17, die bestanden hatten, kamen nicht unter, weil sich die Unternehmen wegen Corona Zurückhaltung beim Personal auferlegt hatten.
Das wurde im Ausbildungsjahr 2020/21 noch deutlicher. Nur 67 Azubis wurden ausgebildet, 44 kamen zur Prüfung, 35 wurden vermittelt.
Aktuell ist die Tendenz bei Berufen in Gastronomie und Service rückläufig, so Stellmacher. Hingegen hätten sich Hauswirtschaft, Pflege, Büroberufe zum Dauerbrenner gemausert.
Nicht nur der zahlenmäßige Rückgang fällt auf. Bei seinen Lehrlingen wurden psychologische Probleme sichtbar, so Stellmacher. Ärztliche Betreuung, Therapeutenbetreuung, bis hin zur Klinikeinweisung seien die Folgen gewesen. Ergebnis aus Zukunftsangst und verlorener Schulstruktur, die durch häusliche Betreuung im Homescooling nicht ersetzt werden konnte.
Im anlaufenden Ausbildungsjahr sieht Stellmacher die Gesamtsituation noch problematischer. Zu allem Überfluss ist man jetzt mit 60 Azubis auch noch aus den Räumen der alten Parteischule geflogen und muss improvisieren. Dennoch geht der Blick in den Dezember, zur Feier und zum Adventsmarkt am 2. Dezember. Im Storchmühlenweg werden dann die handwerklichen Produkte zum Kauf angeboten, die von den Azubis hergestellt wurden. Allen voran das Paradestück, ein dekorativer Erfurt-Schwibbogen. Der muss sein. Corona hin und her.

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